Rassismus

In älteren Kinderbüchern kommen oft Worte vor, die damals viele Menschen benutzten, die heute aber als verletzend und rassistisch gelten, z.B. da 'N****' in 'die Kleine Hexe' oder die 'Z*********' bei 'Pipi Langstrumpf'.  Vor etwa einem Jahr gab es in Deutschland eine riesige Diskussion darüber, ob die Buchverlage diese Stellen ändern  und zum Beispiel einen Pippis Vater in „Südseekönig“ umbenennen sollten. Viele Menschen, auch Journalist_innen, waren dagegen. Schließlich seien diese Worte damals ganz „normal“ und nicht rassistisch gemeint gewesen. Die Zeitung „Die Zeit“ druckte sogar das Wort „N****“ dick und fett auf ihrer Titelseite ab. Da schrieb ein neunjähriges Mädchen der Zeitung einen wütenden Brief. Ishemas Vater stammt aus dem Senegal und ihre Hautfarbe ist – wie sie in dem Brief schreibt - „milchkaffee-braun“. Sie schrieb: „Ihr könnt euch nicht vorstellen wie sich das für mich anfühlt, wenn ich das Wort lesen oder hören muss. Es ist einfach nur sehr, sehr schrecklich. Mein Vater ist kein N**** und ich auch nicht. Dasselbe gilt für alle anderen Afrikaner!“

Wenn du selbst nicht so aussiehst, wie sich viele Menschen ein deutsches Mädchen vorstellen oder wenn du einen Namen hast, den die Leute nicht direkt einordnen können, daskennst du das Gefühl  vielleicht selbst. Jemand fragt dich, wo du herkommst, und wenn du dann „Hannover“ sagst, heißt es: „Nein, ich meine, wo kommst du EIGENTLICH her?“ Jemand lobt dich, dass du gut deutsch sprichst, obwohl du hier geboren bist. Jemand fasst dir ungefragt in deine Haare, weil er schon immer mal wissen wollte, wie sich so ein Afro anfühlt. All das sind Dinge, die du als rassistisch empfinden kannst, und in all diesen Fällen wird die andere Person der Meinung sein, überhaupt nicht rassistisch gehandelt zu haben.

Das zeigt: So gut wie jeder glaubt zu wissen, was Rassismus ist und was nicht. Anscheinend ist es aber gar nicht so leicht zu sagen. Sicher ist, dass es rassistisch ist, Menschen wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer Sprache, ihrem Lebensstil oder ihrer Religion  zu diskriminieren. 
So weit so klar. Aber das ist noch nicht alles. Um zu verstehen, wie Rassismus bis heute funktioniert, ist es wichtig sich anzuschauen wie er entstanden ist, denn es gibt ihn keineswegs schon immer. Zwar haben Menschen schon zu früheren Zeiten gegenseitig bekriegt und unterdrückt, haben andere zum Arbeiten gezwungen und ihre Feinde beleidigt. Der Rassismus existiert allerdings erst seit einigen Jahrhunderten, seit dem Beginn des Kolonialismus. Es war die Zeit, in der europäische Seefahrer wie Kolumbus begannen, in die ganze Welt vorzudringen, und dort – in Amerika, Afrika oder Asien – auf Menschen trafen, die anders aussahen und anders lebten als die Europäer_innen. In dieser Zeit entwickelten europäische Wissenschaftler_innen die absurde Idee, man könne nicht nur Pflanzen und Tiere in verschiedene biologische Rasen einteilen, sondern auch Menschen. Diesen „Rassen“ wurde ein unterschiedlicher Wert unterstellt. Sich selbst sahen die Europäer_innen als am wertvollsten an, die Weißen seien von Natur aus zivilisiert, fleißig und klug. Den anderen Menschen schrieben sie die Eigenschaften zu, die genau das Gegenteil darstellten: wild, faul und dumm. Aus dieser Zeit stammt übrigens auch die abwertende Bezeichnung „N****“. Auf diese Weise rechtfertigten die Europäer_innen alle Arten von Grausamkeiten an den Einwohner_innen anderer Erdteile – diese wurden unterdrückt, versklavt (zum Arbeiten gezwungen) und oft auch getötet, während sich die Europäer_innen an ihnen und an dem Land auf dem sie lebten, bereicherten. Die extremste und auch tödlichste Form, die Rassismus annehmen kann, ist der Völkermord. Ein Beispiel dafür ist die Ermordung der afrikanischen Völker der Herero und Nama durch deutsche Kolonialisten zwischen 1904 und 19808 auf dem Gebiet des heutigen Namibia. Am bekanntesten sind wohl die Verfolgung und der Mord an Millionen Menschen in Deutschland unter den Nationalsozialisten – einzig und allein, weil diese Menschen Juden und Jüdinnen waren. Und das ist erst 70 Jahre her.

Heute ist es allgemein anerkannt, dass im Kolonialismus und im Nationalsozialismus grausame Verbrechen begangen wurden. Auch der Begriff „Rasse“ wird zumindest in Deutschland kaum mehr verwendet, weil aus wissenschaftlicher Sicht längst klar ist, dass es so etwas wie „Menschenrassen“ nicht gibt. Viele Menschen sind deswegen der Meinung, Rassismus gebe es heute kaum noch.

Das ist allerdings ein Irrtum. Im Kern besteht Rassismus darin, die Menschheit in verschiedene Gruppen einzuteilen, denen grundlegend unterschiedliche Eigenschaften und vor allem einen unterschiedlicher Wert zugeordnet wird. Und das geschieht bis heute überall auf der Welt. Wenn in den USA Afroamerikaner_innen viel schlechtere Chancen haben, ihren Schulabschluss zu machen und einen Job zu bekommen als weiße Amerikaner_innen. Wenn allen muslimischen Menschen unterstellt wird, sie seien gewaltbereit, rückständig und frauenverachtend. Wenn in Internetforen geschrieben wird, Juden und Jüdinnen seien alle reich und beherrschten die Welt. Oder wenn Flüchtlinge in Deutschland wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

Wie schon bei den alten Kinderbüchern wird auch bei diesen Themen heftig darüber gestritten, was denn nun Rassismus sei und was nicht. Klar ist: Nur weil heute kaum mehr jemand von Rassen spricht, ist der Rassismus alles andere als verschwunden. Und vielleicht sollte uns die Geschichte über Ishema und ihren Brief eines zeigen: Was rassistisch ist und was nicht, können nur die Menschen entscheiden, die von Rassismus betroffen sind.

Wenn du dich also von jemand anderem rassistisch beleidigt fühlst, dann spielt es keine Rolle, ob dieser jemand das übertrieben findet oder es „gar nicht so gemeint hat“. Wenn du dich verletzt oder herabgesetzt fühlst, dann hast du jedes Recht, dich dagegen zu wehren.


Erklärung:
N* steht für das Wort „Neger“. Wir möchten dieses Wort nicht benutzen, weil es Gefühle verletzt.
Z* steht für das Wort „Zigeunerin“. Auch diese Bezeichnung verwenden wir nicht, da es ein Begriff aus der Nazizeit ist, der negative Gefühle hervorruft und beleidigend ist.