Selbstverletzendes Verhalten

Verletzt du dich manchmal selbst? Weil du einen großen Schmerz in dir fühlst, eine starke Angst, Wut oder Trauer? Weil du zum Beispiel schlecht behandelt wirst, dich selbst hasst, dich schuldig fühlst, sehr einsam bist? Und diese Gefühle so schlimm sind, dass du sie kaum aushalten kannst? Immer, wenn du dich so fühlst, hilft es dir, dich zu ritzen, zu schneiden, zu stechen oder zu verbrennen. Du fühlst dich danach erleichtert, befreit, der große Druck ist weg. Aber das hält nicht lange an. Und du schämst dich für das, was du da tust. Niemand soll es erfahren!

Auch wenn es dir oft so vorkommt, als würde es nur dir so gehen: Du bist mit diesem Verhalten nicht allein. Selbstverletzendes Verhalten ist in Europa, den USA und anderen Industrieländern sehr verbreitet. Und die Tendenz ist steigend. Betroffen sind vor allem Mädchen und junge Frauen. Allein in Deutschland wird die Zahl der Betroffenen auf 600 000 bis über eine Million geschätzt. Die meisten beginnen während der Pubertät (also dem Übergang vom Kindsein zum Erwachsenwerden) damit, sich zu verletzen, viele schon mit unter 14 Jahren. Obwohl es viele Betroffene gibt, scheint selbstverletzendes Verhalten aber in der Öffentlichkeit nicht zu existieren. Es ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema. Und weil so wenige darüber informiert sind, wird oft mit Unverständnis oder Ablehnung reagiert, wenn selbstverletzendes Verhalten einmal entdeckt wird.

In mehr als der Hälfte der Fälle weiß niemand aus der Familie etwas von diesem Verhalten. Viele Mädchen, die sich selbst verletzen, sind supergute Schauspielerinnen, die ihrer Umgebung Fröhlichkeit vorspielen, während ihnen eigentlich zum Weinen ist. Sie haben Angst, abgelehnt zu werden, wenn jemand davon erfährt.

Selbstverletzendes Verhalten ist eine Überlebensstrategie. Es hilft dir in Extremsituationen, dein seelisches Gleichgewicht zu behalten. Es entlastet dich von seelischem Druck. Es kann Selbstmordgedanken verhindern.

Aber es hilft dir nicht auf Dauer. Denn die Ursachen für deine schmerzlichen Gefühle kannst du damit nicht wegschneiden. Sie kommen immer wieder. Und sie werden sogar noch mehr, denn das selbstverletzende Verhalten erzeugt neuen Druck. Letztlich macht es alles nur noch schlimmer, denn es kann einen Teufelskreis erzeugen, aus dem du allein nicht mehr rauskommst.

Es kann süchtig machen wie eine Droge. Das kann man sogar chemisch messen. Während der Selbstverletzung können körpereigene Endorphine ausgeschüttet werden, auch „Glückshormone“ genannt. Diese Stoffe senken das Schmerzempfinden und erzeugen ein Glücksgefühl. Und danach kann man süchtig werden – ganz ähnlich, wie man eine körperliche Abhängigkeit von Heroin entwickeln kann. Und wie bei einer Drogensucht kann man auch unter Entzugserscheinungen leiden, die sich zum Beispiel in Panikattacken oder Depressionen ausdrücken. Wenn selbstverletzendes Verhalten zur Sucht wird, verselbstständigt es sich. Dann braucht es nicht mal mehr ein negatives Erlebnis als Auslöser, einen sogenannten Trigger. Die Gedanken kreisen dann nur noch um das Selbstverletzen und den Wunsch nach den Glückshormonen.

Eigentlich ist selbstverletzendes Verhalten ein Hilferuf. Aber einer, der nicht gehört werden kann. Es ist der sichtbare Ausdruck einer seelischen Notlage. Aber gleichzeitig ist es unsichtbar. Selbstverletzen passiert im Verborgenen, in einem abgeschiedenen Raum. Und die Verletzungen werden aus Scham und Angst versteckt. Eigentlich bräuchte man in dieser Notlage Hilfe. Aber das Selbstverletzen verhindert echte Hilfe. Es bringt zwar vorübergehend Erleichterung. Aber es kann nicht die Wunden in der Seele heilen. Nicht die Ursachen für die seelischen Schmerzen beseitigen.

Genau darum geht es aber. Selbstverletzendes Verhalten ist nicht die einzige Überlebensstrategie in deiner Situation. Du kannst lernen, andere, bessere Strategien zu benutzen. Das geht nicht von heute auf morgen, es ist ein längerer Prozess. Aber es ist möglich.

Bei uns im FeM Mädchenhaus – oder in anderen Beratungsstellen – findest du Hilfe dabei. Wir kennen deine Situation, wir verstehen deine Not. Wir helfen dir herauszufinden, in welchen Situationen du am anfälligsten für Selbstverletzung bist. Du lernst so deine eigenen Verhaltensmuster kennen. Du findest heraus, was die Ursachen für deinen seelischen Schmerz sind. Du lernst, deine Gefühle wahrzunehmen und auszusprechen. Und neue Strategien zu entwickeln, die dir in solchen Situationen wirklich helfen.

Als ersten Schritt kannst du über den geschützten Bereich dieser Website mit uns Kontakt aufnehmen.